Sozialrichtertagung September 2020

- Erschienen am 09.09.2020

Bis zuletzt wurde unter allen Beteiligten heftig gerungen: Kann die seit Jahren größte Veranstaltung der Justizakademie, die traditionell jährlich für Anfang September geplante Tagung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) auch im Jahr 2020 stattfinden – trotz der Pandemiesituation? Denn wie die anderen AFZ-Einrichtungen auch, bekam die Justizakademie die Auswirkungen des Covid-19-Geschehens im Programmjahr 2020 mit voller Härte zu spüren. Nach dem 16. März fielen infolge des Lockdowns und der anschließenden Einschränkungen in der beruflichen Bildung viele Seminare, vor allem alle anderen Großveranstaltungen, die in der Justizakademie eigentlich geplant waren, aus.

Im Sommer 2020 zurückgehende Inzidenzwerte und die damit verbundene relativ gute Pandemiesituation war Motivation dafür, die große Tagung der Sozialgerichtsbarkeit Anfang September 2020 doch stattfinden lassen zu können. Dieses insgesamt 14. Treffen (davon zwölfmal in der JAK) stand coronabedingt unter besonderen Vorzeichen. Um den Hygieneanforderungen und Befindlichkeiten zu entsprechen, wurde auf Tische im großen Mehrzwecksaal (Aula) verzichtet, um so die Stühle in sehr weitem Abstand über die gesamte Breite und bis an die hintere Wand aufstellen zu können. Zusätzlich konnten Teilnehmende das Geschehen auch aus dem Audimax verfolgen – dank einer Videoübertragung dorthin. Durch diese besonderen Vorkehrungen konnten immerhin 93 Sozialrichterinnen und Sozialrichter aus Brandenburg und Berlin mitwirken.

Die Anmeldung zu dieser Tagung hatte sich für alle in jedem Falle unter fachlichen und kollegialen Gesichtspunkten gelohnt. Zu Beginn begrüßte die Präsidentin des LSG, Sabine Schudoma, die Anwesenden und dankte dafür, dass der Justizgewährungsanspruch auch in diesem besonderen Jahr zu jedem Zeitpunkt durch die Sozialgerichte abgesichert werden konnte. Sie erinnerte daran, dass die Fachtagung in das 30. Jahr der deutschen Einheit und das 15. Jahr des Bestehens des fusionierten Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg fällt. Hieran anknüpfend sprach an späterer Stelle der (erste) Präsident des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg a.D., Jürgen Blaesing, ein Grußwort und erinnerte rückblickend an die Anfangszeit gemeinsamer Berlin-Brandenburger Sozialgerichtsbarkeit in den Jahren 2004/2005.

In ihrem Grußwort betonte Justizministerin Susanne Hoffmann den Paradigmenwechsel bei der Stellenausstattung der Justiz, so auch in der Sozialgerichtsbarkeit. Der zugesagte Stellenzuwachs berücksichtigt nicht nur die Eingangszahlen, sondern auch Sonderbedarfe. Insbesondere sei es das Ziel, mit der verbesserten Personalsituation für den dringend notwendigen Abbau der Altbestände in dieser Legislatur zu sorgen und die zu langen Verfahrenszeiten zu verkürzen. Die Zukunft der Rechtsprechung und Rechtspflege wird, auch in den Fachgerichtsbarkeiten, so die Ministerin, wesentlich durch die Digitalisierung und die Einführung der elektronischen Rechtsakte bestimmt werden. Dieser Aspekt wurde auch von der Berliner Justizstaatsekretärin Dr. Daniela Brückner in ihrem Grußwort unterstrichen, dabei die Vorreiterrolle des Sozialgerichts Berlin hervorhebend.

Besonders gespannt waren alle Mitwirkenden auf den anschließenden Festvortrag von Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts. Er sprach anlässlich des bevorstehenden 30. Geburtstages der deutschen Wiedervereinigung zum Thema „30 Jahre geeinter Rechtsstaat! 30 Jahre geeinter Sozialstaat?“ Hierbei betonte er, dass das Volk der DDR sich im Herbst 1989 klar artikuliert hatte, welche Lebensverhältnisse es in Zukunft erwartet. 300.000 Einwohner (täglich bis zu 2.000 Menschen) hatten die DDR bis Ende Januar 1990 verlassen. In dieser Situation war die schnelle Ausarbeitung des Staatsvertrages vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik immanent wichtig. Es ging darum, möglichst schnell und umfassend eine Angleichung an das bundesdeutsche Sozialsystem zu finden, Perspektiven aufzuzeigen. Durch den am 3. Oktober 1990 in Kraft getretenen Einigungsvertrag folgte dann auch die weitgehende Rechtsangleichung nach dem Grundsatz einer Rechtsübernahme. Prof. Dr. Schlegel setzte sich, sehr differenziert bewertend, mit Einzelaspekten der rechtlich gestalteten neuen Lebensverhältnisse in den damals noch ganz jungen Bundesländern auseinander (bspw.: Bruch im Krankensystem: von der Polyklinik hin zum Prinzip der niedergelassenen Ärzte, Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeldregelung, Altersvorsorgefragen). Kritisch merkte er an, dass bis heute kaum Ostdeutsche in Führungspositionen gelangt sind.

Der weitere Verlauf der zweitägigen Tagung war durch aktuelle Fachthemen geprägt: Dr. Frank Bockholdt, zz. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundessozialgericht, befasste sich mit „Rechtlichen Problemen beim Umgang mit querulatorischen und möglicherweise prozessunfähigen Klägern“. Prof. Dr. Martin Sparmann, Honorarprofessor an der Humboldt Universität/Charité Berlin, referierte zum „Chronischen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) in der sozialmedizinischen Begutachtung“. Dr. Björn Harich, Richter am Bundessozialgericht, stellte die „Neue Rechtsprechung des BSG zu Bedarfen für Unterkunft und Heizung“ vor. Dr. Stefanie Engel-Boland, Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Gießen, thematisierte „Schnittstellen des SGB II/SGB XII mit dem Wohngeldgesetz, UVG, BAföG und dem SGB VIII“.

Den fachlichen Abschluss bildeten dann wieder interne Spartentreffen für die einzelnen Rechtsgebiete. Rechtsprechungsexperten unter sich!

Resümee:

Diese unter Pandemiebedingungen organisierte Großveranstaltung war – trotz der Einschränkungen gegenüber den letzten Jahren – ein voller Erfolg. Die Tagung wurde nur möglich durch die vielen fleißigen Helferinnen und Helfer im Hintergrund, von der Zentralverwaltung, über den Empfang und die Tagungstechnik. Ihnen gilt an dieser Stelle der besondere Dank.

Letzte Aktualisierung: 17.04.2019 um 00:00 Uhr
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